CHRISTINE WEBER – IM LICHTEN HIMMEL
VON KINO UND MALEREI
Jens Meinrenken, 2014

Der Film ist ein verletzliches Wesen. Seit seiner Entstehung bedroht von Momenten der Beschneidung, Zersetzung oder gar materiellen Auflösung. Zugleich ist er ein Medium, dessen starke Emotionalität uns immer wieder in seinen Bann zieht, den Blick regelrecht an die Leinwand fesselt. Dabei sind es vor allem einzelne Augenblicke und Szenen, die aus der fließenden Welt des Kinos herausragen, sich in der menschlichen Erinnerung besonders festsetzen, zu einem einzelnen Bild werden.

Die Bewegung des Filmischen ist nicht nur aus dieser Perspektive vom ikonischen Status des Gemäldes kaum zu trennen. Bei aller Differenz sind beide – Film und Malerei – in einem unaufhörlichen Prozess der Visualisierung aufeinander bezogen. Mittels Farbe und Licht kreieren sie einen eigenen Kosmos der optischen Darstellung und fokussieren dabei unsere Wahr­nehmung auf ganz bestimmte Aspekte der menschlichen Vorstellungs­kraft und Fantasie.

Diese Fähigkeit zur Imagination und neuen Sicht auf die Realität teilen auch die Bilder von Christine Weber. Die kinemato­grafische Malweise ihrer Gemälde ist einem Flackern des Sichtbaren unter­worfen, das die wiedergegebene Szenerie wie mit dem Lichtkegel eines Projektors erfasst, sie gleichsam aufzulösen scheint und dennoch präzise auf der Leinwand fixiert. Die projektive Kraft des Kinos wird hier durch die Malerei in eine neue Welt der Anschauung transformiert. Wo im Zuschauerraum erst durch den Film apparat das Licht auf die Leinwand trifft, scheint es in den Bildern sein. Das Gemälde wird so zum Leuchtkörper der künstlerischen Darstellung.

Zwar haben wir es hier ebenso wie im Kino mit einer Illusion zu tun, doch eine, die uns unmittelbar vom Bild gegenübertritt und damit beinahe leibhaftig erscheint. Der Taumel und die Bewegungs­lust der Figuren, starke Untersichten oder die Beschneidung der Szene durch den gewählten Bildausschnitt erzeugen in Christine Webers Gemäl­den den Eindruck von intimer Nähe und persönlicher Teil­nahme, die weit über den gezeigten, filmischen Moment hinausweist. Der Betrach­ter ist nicht nur bloßer Zuschauer, sondern wird zum Akteur, Teil des schauspielerischen Personals.

Gäbe es da nicht diesen einen Moment der traumartigen Irritation, dieses Trugbild einer nur schemenhaften Erinnerung. Gerade der Bezug auf die Werke bekannter Filmregisseure wie Jean Luc Godard oder Quentin Tarantino steigert den Effekt des [Wieder-]Erkennens und lässt einen schnell die Differenz des jeweiligen Gemäldes zu den zu den zitierten Film szenen übersehen. Hat das Rennen durch den Louvre aus Godards Außen­seitenbande wirklich so statt­gefunden, ist der Kampf von Uma Thurman mit Chiaki Kuriyama aus Tarantinos Kill Bill tatsächlich bildgetreu wiedergegeben?

In diesem Zwischenraum von Kino und Malerei positioniert Christine Weber ihren eigenen Blick auf das Geschehen. Nicht allein die Farbe und das Material der Leinwand verändert das Bild, nicht alleine der mediale Unterschied zum Film ist hier entscheidend, vielmehr der raffinierte Umgang sondern mit den visuellen Details. Es hat schon etwas Konspiratives, wenn sie mit geradezu diebischer Freude Dinge und Elemente in ihre Bilder schmuggelt, die sich in den originalen Filmszenen niemals befunden haben und die jetzt auf dem Gemälde umso selbstverständlicher erscheinen. Ein tanzendes Skelett auf der Hausmauer von est un femme [2013] oder die tropfende Farbe der Louvre-Bilder in bande 3 [2014], hier thematisiert sich die Malerei selbst – mit dem Betrachter als ihren wichtigsten Komplizen.

Das eingangs beschriebene Problem der Auflösung und Zerstörung des filmischen Materials wird aus dieser Perspektive zum Bestand­teil einer spezifischen Bild­philo­sophie, die durch kleinste Hinweise die Zeitlichkeit und Vergänglichkeit der Malerei selbst in Szene setzt. Man betrachte zum Beispiel das Gemälde KB Morgenstern 9 [2006], um zu begreifen, dass die Zersplitterungen und wie mit dem Schwert vollzogenen Zerteilungen des Bildmotivs nicht allein der gezeigten filmischen Aktion zur verdanken sind. Vielmehr sind sie Ausdruck einer Verletzlichkeit der Leinwand, die in der modernen Kunst des 20. Jahrhunderts vor allem durch Lucio Fontana vielfach zelebriert worden ist.

Die Kunst des Cuttens, das die filmische Sequenz zergliedert, unterbricht und wieder neu verknüpft, weicht bei Christine Weber einer kompositorischen [Archi]-Tektonik der Malerei. Durch die Szenen ihrer Bilder aus und setzte sie dann zu neuen eigen­ständigen Gemälden zusammen. Schon im frühen Film sind es nicht allein die Figuren und Handlungen, sondern die gebauten Räume und Gebäude, in denen sich die Schauspieler bewegen, die zur großen Begeisterung gegenüber dem Kino beigetragen haben. Christine Webers Bilder lehnen sich an diese cineastische Entwurfs­praxis an und kehren sie zugleich in ihr Gegenteil. Oftmals ist dort der Raum auf sein grundsätzliches Gehäuse reduziert, seine tragenden und formenden Eigen schaften werden regelrecht freigelegt und zur Schau gestellt. Im lichten Himmel von Kino und Malerei erscheint so der Raum innen und außen als Ausdruck einer künstlerischen Transzendenz. Christine Webers Gemälde feiern das Licht, nicht nur als malerischen sondern auch als einen mentalen Akt.

Man darf diese optische Philosophie des Bildes nicht als ein kühles Nachdenken über die Grenzen und Möglichkeiten der Kunst miss­verstehen. Die Malerei ist hier ebenso wie das Kino in ihrer ganzen Sinnlichkeit präsent, setzt den strahlenden Museumsräumen des White Cube ein eigenes starkes Leuchten entgegen. Gewisser­maßen eine Art persönliche Resistance gegenüber jedweder Form der visuellen Vereinnahmung durch andere Medien und Mächte.

Und so stellt sich am Ende der Betrachtung die Frage nach dem Anfang von Kino und Malerei noch einmal neu, löst sich aus ihren historischen Bedingungen, wird selbst zur künstlerischen Form. Es ist die Aufgabe der Zuschauer von Christine Webers Gemälden, deren Figuren ihre Gesichter und Geschichten zurückzugeben, sie in den eigenen Alltag der Wahr­nehmung zu integrieren. Denn die Beschäftigung mit der Malerei, sei sie aus dem Akt des Schaffens und/oder des Betrachtens geboren, ist immer auch eine Frage nach der Identität. Wen sehen wir, was sehen wir und wie sehen wir es? Die Individualität von Kino und Malerei wird hier zu einer gemein­samen und familiären Verwandtschaft, in der das eine ohne den Bezug auf das andere kaum zu verstehen ist. So wie die Kino­theorie der Nouvelle Vague die Kamera zum Pinsel erklärt hat, so ließe sich der umgekehrt als eine komplexe kinematographische Apparatur beschreiben, die nicht nur einfach Farbe, Formen und Linien auf der Leinwand zaubert, sondern ohne die Technik der Aufzeichnung von Momenten und Erinner­ungen nicht zu denken ist. Film und Malerei sind in diesem Sinne verbunden, durch das was Kino in seiner ursprünglich griechischen Bedeutung beschreibt, nämlich Bewegung, mental und körperlich. So wie wir den Bildern erst direkt gegenüber­treten müssen, um sie überhaupt genauer anschauen zu können, so sind unsere Augen, unsere Gesten, unser Verstand einer perma­nenten Dynamik unterworfen, selbst wenn wir vermeintlich still stehen oder sitzen. Die besondere Kraft der künstlerischen Rezeption und Artikulation liegt verborgen in der Ruhe- und Rastlosigkeit des menschlichen Daseins. Mittels dieser Erkenntnis ist es leicht zu verstehen, dass wir als teilnehmende Betrachter angesichts der Gemälde von Christine Weber uns teilweise wie Mitwisser, Komplizen oder Täter fühlen. Sie setzen einen Film frei, der im Kopf beginnt und sich in den Füßen fortsetzt. Dieser Bewegungsdrang während des Blicks auf ihre Bilder verdankt sich einer großen Augenlust und künstlerischen Qualität. Wer möchte nicht einmal durch den Louvre laufen, Hände haltend, farbverschmiert, die ganze Heiterkeit des Lebens in vollen Zügen genießend?