DAS FOTO SCHLÄGT ZURÜCK
Günther Holler-Schuster

Wenn wir heute über Malerei sprechen, wissen wir, dass diese immer noch einen Rest von Sentimentalität in sich trägt, der in ihrer Historizität begründet liegt. Sowohl in ihrer radikalsten Ausformung, der Abstraktion, als auch in ihrer Beziehung zur Realität scheint sie durchformuliert und daher nicht mehr zwingend notwendig zu sein. Der Prozess der Abstraktion ist eine Erscheinung des 20. Jahr hunderts und amit abgeschlossen. Ebenso ist die Erschließung des Materials vollzogen. Man hat mittlerweile nahezu alle Materialien eingesetzt um zu malen. Foto, Film und computer gestützte Bilderzeugungsmedien haben die Leistungen der Malerei, wie diese sie im 19. Jahrhundert noch hatte, restlos übernommen. Wie die Malerei beginnt als nächstes die Fotografie dekorativ und sentimental zu wirken. Somit scheint ein Punkt erreicht zu sein, der uns fortan von Malerei und Fotografie nicht mehr als grundverschiedene Disziplinen sprechen lässt. Wir sollten eher von Bildern – von der Organisation des Visuellen sprechen. Bilder, egal welcher Herkunft und Produktionstechnik, sind dabei die Grundlage neuer Bilder. Die Geschichte der Malerei hat sich, genauso wie die verschiedenen Bilder aus den Bereichen der elektronischen Medien, aus Film und Foto, in unserem visuellen Bewusstsein abgelagert. Mit diesem Instrumentarium nähern sich sowohl KünstlerInnen, als auch BetrachterInnen dem Visuellen. Dass die Malerei nicht viel mit der Realität zu tun hat, ist bekannt. Kandinsky beschreibt dieses Bildwerden der Wirklichkeit eindrucksvoll in seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst“ 1911/12. Angesichts der „Heuhaufen“ von Claude Monet sah er erstmals ein Bild. „Ich empfand dumpf, daß der Gegenstand in diesem Bild fehlt. […] Das alles war mir unklar, und ich konnte die einfachen Konsequenzen dieses Erlebnisses nicht ziehen. […] Unbewußt war aber auch der Gegenstand als unvermeidliches Element des Bildes diskreditiert“.[1] Die Folge war die Auflösung des Gegenständlichen in der Malerei. Für uns näher liegende Bilder als Monets „Heuhaufen“ sind die Bilder aus den Massenmedien. Jüngste Beispiele [Irakkrieg, Tsunami, Jugendkrawalle in Paris] führen uns deutlich vor Augen, dass wir es hier auch mit einer Art des Fehlens des Gegenstands zu tun haben. Wir sehen Bilder, die eher ästhetischen Kriterien folgen, als inhaltlichen. Der malerische Ästhetizismus dieser Zeugnisse von Katastrophen und Gewalttaten appelliert an unsere Vorstellungen von Schönheit, nicht an die Betroffenheit angesichts der Ereignisse. Im Bildtext erhalten wir Aufklärung. Jetzt erst bekommen die sonst eher an Kinofilmstills erinnernden Bilder einen Dokumentationswert. „Daß das ein Heuhaufen war, belehrte mich der Katalog“ [2]. Somit hat sich auch der avantgardistische Pathos, der mit der Fotografie – in Bezug auf die Malerei – bis in die 1970er Jahre noch bestand, aufgelöst. Die Fotografie hat nicht nur illustrative Aufgaben der Malerei übernommen, sie hat auch in ihrer nüchternsten Ausformung – der Reportage – ihre Eigenständigkeit eingebüßt und ist dekorativ geworden. Viele der heutigen Bilder etwa vom Krieg kann man als höchst „malerisch“ bezeichnen.

Christine Weber scheint genau an diesem Punkt anzusetzen. Sie zeigt uns in ihren Gemälden Bilder, die sie aus Zeitungen, Magazinen oder bekannten Spielfilmen nimmt, Szenen, die wir zu kennen glauben. Doch sind wir irritiert. Der ursprüngliche Inhalt fehlt, während sich ein neuer gebildet hat. Die Tatsache, dass das Mädchen aus dem Film „Kill Bill“ stammt, oder dass die aufeinandergetürmten Männerkörper sich über ein Tor freuende Fußballer sind, ist sekundär. Wir haben es letztlich mit einem Bild zu tun, nicht mit der Dokumentation eines Ereignisses. Diese Behauptung wird im Zusammenhang mit den Bildern der Massenmedien noch aufgestellt, obwohl es sich auch in deren Fall um Bilder handelt. Wir fühlen uns an Magrittes berühmtes Bild „Ceci n’est pas une pipe“ erinnert, in dem die Frage gestellt wird, ob die Malerei auf das Sichtbare verweist, das sie umgibt, oder ob sie sich ein Unsichtbares schafft, das ihr gleicht. Somit gilt: „Das ist nicht das Mädchen aus dem Film 'Kill Bill'“ oder „Das ist nicht eine sich über ein erzieltes Tor freuende Gruppe von Fußballern“. Foucault stellt für Magrittes Bild fest, dass ähnlichkeit und Affirmation nicht zu trennen seien. Er führt uns wieder zu Kandinsky, dem er zugesteht, dieses Prinzip durchbrochen zu haben: „Sowohl die Ähnlichkeit wie auch das Repräsentationsband werden durch die immer stärkere Affirma tion jener Linien, jener Farben beseitigt, von denen Kandinsky sagte, dass sie 'Dinge' sind – genauso wie die Kirche, die Brücke, der Ritter mit seinem Bogen. Nackte Affirmation, die sich auf keine ähnlichkeit stützt und die, wenn man sie fragt, 'was das ist', nur auf die Geste hinweisen kann, die sie geschaffen hat: 'Improvisation',' Komposition'.“ [3]

Christine Weber malt aber keine abstrakten Bilder, zumindest nicht in dem Sinne, wie sie Kandinsky gemalt hat. Durch die Diskreditierung des Gegenstandes, die sie betreibt, indem sie malt und nicht bspw. fotografiert, erreicht sie einen Punkt den man mit dem Begriff Abstraktion in Verbindung bringen kann. Sie abstrahiert die Realität. Womit wir einerseits wieder bei Monets „Heuhaufen“ und anderseits bei den ästhetisierten Dokumentationsfotos aus den Massenmedien sind.

Boris Groys sieht den “[…] langsamen Übergang vom malerischen zum photographischen Bild als das eigentliche Kunstereignis des 20. Jahrhunderts” [4]. Das fotografische Bild scheint aber mittlerweile wieder von der Malerei absorbiert worden zu sein. Man könnte mit Groys nun sagen, die Malerei hat überhaupt nur dann eine Überlebenschance, wenn sie sich in einer Mimikry als Fotografie präsentiert [5]. Letztlich scheint es in diesem Zusam menhang müßig zu sein, die Disziplnen zu trennen. Nach der langen Tradition des Abmalens von Fotos – von Richter bis heute – wirkt die Malerei wieder zurück auf die Fotografie. Es hat den Eindruck, als könnten sie nicht mehr ohne einander existieren. In Christine Webers Arbeit kommt diese Verzahnung deutlich zum Ausdruck.

Es ist ein sehr dichtes Programm, das sie uns in ihrer Kunst anbietet. Sie spielt auf die Problematik an, mit der wir heute angesichts nahezu aller Bilder konfrontiert sind: was wollen wir sehen?

[1] Wassily Kandinsky, “Über das Geistige in der Kunst –
insbesondere in der Malerei“, revidierte Neuauflage, Bern 2004, S. 13
[2]Kandinsky, a.a.O. [3]Michel Foucault, “Dies ist keine Pfeife“,
übersetzt von Walter Seitter, München 1983, S. 27 [4]Boris Groys,
“Das Versprechen der Photographie“, in: “Topologie der Kunst“
[Hg.] Michael Krüger, München 2003, S. 118 [5]Boris Groys, a. a. O.